Die Kraft eines Loblieds
Nina und Dot singen ein Loblied, um einen angreifenden Panther abzuschrecken und retten so ihr Leben auf ihrem Heimweg durch den Wald.
In der Nähe des Gipfels eines Berges in Pennsylvania gibt es ein kleines Dorf namens Honeyville, das aus zwei Blockhäusern, zwei Hütten, einer klapprigen alten Scheune und einem kleinen Schuppen besteht. Es ist von ein paar Hektar gerodetem Land umgeben. In einem dieser Häuser lebte eine siebenköpfige Familie – Vater, Mutter, drei Jungen und zwei Mädchen. Sie waren vor kurzem aus Michigan zugezogen. Die Mutter und ihre beiden kleinen Mädchen, Nina und Dot, waren Christen und ihre Stimmen erhoben sich oft zum Lobpreis Gottes, wenn sie aus einem alten Gesangbuch sangen, das zu ihren wertvollsten Besitztümern gehörte.
Eines Morgens schickte die Mutter Nina und Dot auf einen Botengang zum über fünf Kilometer entfernten Haus ihrer Schwester. Der erste Teil des Weges führte durch dichte Wälder, danach ging es an Häusern vorbei und durch kleine Lichtungen. Sie ermahnte die Kinder, sich rechtzeitig auf den Heimweg zu machen, um vor Einbruch der Dunkelheit zurückzukommen. Da gab es nämlich wilde Tiere wie Bären, Wildkatzen und gelegentlich sogar Panther, die dort umherstreiften. Diese Tiere waren zu dieser Jahreszeit hungrig, denn sie mussten sich darauf vorbereiten, in einer gemütlichen Höhle oder einem Loch ihre Winterruhe zu beginnen.
Die Mädchen machten sich auf den Weg, jagten fröhlich hintereinander her und kamen rechtzeitig bei ihrer Schwester an. Dort konnten sie die Zeit mit dem Baby genießen. Nach dem Abendessen war die Schwester so beschäftigt und die Kinder waren so in ihr Spiel vertieft, dass die Zeit verging, bis die Uhr vier schlug. Dann machten sich die Mädchen eilig auf den Weg nach Hause, in der Hoffnung, dass sie dort ankommen würden, bevor es ganz dunkel wurde. Die ältere Schwester sah ihnen nach, bis sie auf der Straße verschwanden, und wünschte sich sehnlichst, dass jemand mit ihnen gehen könnte.
Nina und Dot kamen gut voran, bis sie das lange Waldstück erreichten. Dort sagte Nina: „Oh, ich weiß, wo es ein großes Beet mit Beeren gibt, direkt an der Straße! Lass uns ein paar für Mama pflücken!“ Also kletterten sie über ein paar Steine und Baumstämme und tatsächlich, es gab dort Beeren in Hülle und Fülle! Sie pflückten, redeten und spielten Verstecken zwischen den Büschen. Als sie sich wieder auf den Weg machten, stand die Sonne schon tief im Westen und die Bäume warfen schwere Schatten auf die Straße, die schnell länger wurden. Als sie etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten, war Dot müde und langsam bekam sie es mit der Angst zu tun. Nina versuchte, sie aufzuheitern, indem sie sagte: „Noch ein langer Hügel, und wir sind zu Hause.“ Aber noch konnten sie nur die Sonne sehen, wie sie auf die Baumkronen des Hügels schien.
Sie hatten schon oft versucht, sich im Spiel gegenseitig zu erschrecken, indem sie sagten: „Oh, ich sehe einen Bären oder einen Wolf auf der Straße“ und dabei taten sie so, als hätten sie Angst. Also sagte Dot: „Lasst uns einander erschrecken! Du versuchst, mich zu erschrecken.“
Nina sagte: „In Ordnung.“ Dann zeigte sie die Straße hinauf und sagte: „Oh, sieh mal die Straße hinauf, bei dem schwarzen Baumstumpf! Ich sehe einen...“
Sie stockte mitten im Satz, denn plötzlich trat fast genau an der Stelle, auf die sie gezeigt hatte, ein großer Panther aus dem Gebüsch und drehte seinen Kopf erst in die eine und dann in die andere Richtung. Dann, als hätte er die Mädchen erst jetzt entdeckt, duckte er sich und schlich, wie eine Katze hinter einer Maus her, auf sie zu.
Die Mädchen blieben stehen und sahen sich an. Dann begann Dot zu weinen und flüsterte mit erstickter Stimme: „Oh Nina, wir müssen weg!“
Aber Nina musste an den langen, dunklen, einsamen Weg denken, der hinter ihnen lag und sie wusste, dass es sinnlos war, wegzulaufen. Dann dachte sie an das, was ihr Vater über das Zeigen von Angst gesagt hatte, ergriff die Hand ihrer kleinen Schwester und sagte: „Nein, lass uns vorbeigehen. Gott wird uns helfen.“ Und so ging sie den Weg hinauf zu dem Tier.
Als die Kinder sich bewegten, blieb der Panther stehen und richtete sich auf. Dann duckte er sich wieder und bewegte sich langsam und unruhig auf sie zu. Sie hatten ihn fast erreicht und Nina, die am nächsten stand, sah, wie der Puma fast zum Sprung ansetzte. Da fiel ihr ein, dass sie gehört hatte, ein wildes Tier würde niemanden beim Singen angreifen. Was sollte sie jetzt singen? Vergeblich versuchte sie, sich an ein Lied zu erinnern. In ihren Gedanken war nichts als völlige Leere. Verzweifelt blickte sie auf und hauchte ein kleines, verzweifeltes Gebet. Dann erhaschte sie einen Blick auf die letzten Strahlen der untergehenden Sonne, die die Wipfel der Bäume auf dem Hügel berührten, und begann das schöne englische Lied: „Es ist Sonnenlicht auf dem Hügel, es ist Sonnenlicht auf dem Meer…“.
Ihre Schwester stimmte mit ein und obwohl ihre Stimmen anfangs schwach und unsicher waren, klangen die Worte des Liedes schön und klar in der Abendluft, als die Kinder dem Panther gegenüberstanden. Dieser blieb stehen und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. Sein Schwanz peitschte hin und her, doch dann wurde er ganz still. Die Mädchen gingen weiter, Hand in Hand, ohne sich umzusehen. Wie schön die Worte doch klangen, als sie durch den Wald hallten: „Oh, Sonnenlicht! schönes Sonnenlicht! Oh, das Sonnenlicht im Herzen!“
Als die Kinder sich dem Gipfel des Hügels näherten, hörten sie einen Wagen und da wussten sie, dass Hilfe kam. Aber sie sangen weiter. Als sie den Gipfel erreicht hatten und gleichzeitig der Wagen heranrollte, drehten sie sich zum ersten Mal um und schauten zurück, gerade noch rechtzeitig, um einen letzten Blick auf den Panther zu erhaschen, der dann im Wald verschwand.
Ihre Mutter hatte oft und ängstlich die Straße entlang geschaut und war Mal um Mal mehr besorgt, als sie die Kinder immer noch nicht entdecken konnte. Schließlich machte sie sich auf den Weg, um nach ihnen zu sehen.. Etwa auf halbem Weg hörte sie die Worte: „Oh, das Sonnenlicht! wunderschönes Sonnenlicht! Oh, das Sonnenlicht im Herzen! Das Lächeln Jesu kann die Traurigkeit vertreiben, es ist das Sonnenlicht im Herzen.“
Zuerst zog ein glückliches Lächeln der Erleichterung über ihr Gesicht, aber es verschwand, als sie weiter zuhörte. Das Lied hatte eine so überirdische Schönheit. Es war so stark und klar, dass es ihr wie Engelgesang vorkam und nicht wie das Singen ihrer kleinen Mädchen. Das Lied verstummte und die Kinder tauchten hinter dem Hügel auf. Sie sah ihre blassen Gesichter und steuerte auf sie zu. Als sie ihre Mutter sahen, wie flogen da ihre kleinen Füße! Sie waren so außer Puste, dass es eine Weile dauerte, bis sie ihr sagen konnten, was geschehen war.
Wie innig war doch ihr Dankgebet am Abend und was für eine Bedeutung hat dieses wertvolle alte Lied seitdem für sie! Ein paar Tage später tötete eine Gruppe von Jägern den Panther, der den Kindern so schrecklich nahe gekommen war. Doch die Erinnerung an dieses aufregende Erlebnis bleibt und wird nie aus dem Gedächtnis der Autorin verschwinden, denn sie war eine von denen, die es selbst erlebt hatten.
nach Nina Case, aus "Stories Worth Rereading", 1913; Übertragung: JW
Bibelstellen:
Psalm 91,11.12; Jesaja 41,10; Psalm 46,1-3; Psalm 27,1; Psalm 34,7; 2. Timotheus 1,7; Philipper 4,6.7; Römer 8,31; Psalm 23,4; Jesaja 43,2